30. Januar 2014 Australien, Tasmanien – Planänderung

Interim-Management  ist eine zeitlich befristete Art des Führungs- und Projektmanagements. Interim-Manager übernehmen Ergebnisverantwortung für ihre Arbeit. Sie verlassen das Unternehmen, sobald die Aufgabe, für die sie das Mandat übernommen haben, gelöst ist. Es soll Reisemotten geben, die sich für attraktive Aufträge vom anderen Ende der Welt nach Europa zurückholen lassen.

Ich habe während meiner 17-jährigen Beziehung mit Ingo genau zwei Mal „Nein“ gesagt. Es war nicht wie man etwa vermuten könne, während unserer Trauungszeremonie  in Nuuk, der Hauptstadt von Grönland. Obwohl mir da schon ein wenig mulmig zumute war. Eine Verheiratung ist ja doch etwas sehr Endgültiges. Massenhaft dahingesagte Schwüre zwischen Mann und Frau. Nicht unbedingt gelogen. Sondern vielleicht nur geirrt. Gefühle zwischen Mann oder Frau sind ja schliesslich nicht unendlich. Und als wir dort so standen, auf dem Eisbärenfell, musste ich doch sehr gründlich überlegen, solch einen langfristigen Vertag einzugehen. Doch auch Ingo musste überlegen. Er wollte ja eigentlich gar nicht heiraten, weil er sich mit unter 80 viel zu jung dafür fühlte. Dass er grundsätzlich nicht heiraten wollte, fand ich eigentlich nicht schlimm. Aber dass dieses Grundsätzlich auch mich mit einschloss, konnte ich irgendwie nur schwer akzeptieren. Jedenfalls haben wir uns damals beide dann doch zum Ja-Sagen entschieden.

Aber zurück zum Nein-Sagen. Das erste Mal habe ich Nein gesagt, als Ingo von seinem damaligen Arbeitgeber die Option bekam, für ein paar Jahre in Polen zu arbeiten. Ich konnte mir zu jenem Zeitpunkt so gar nicht vorstellen, die Naturheilkunde in polnischer Sprache auszuüben. Zu einem geschätzten Stundensatz von 3 Euro 50. Ich kann es mir auch heute nicht vorstellen. Und in Zukunft auch nicht. Weswegen es damals zu dem alles entscheidenden Wörtchen meinerseits kam. Das Resultat dieses ersten Nein-Sagens bekamen wir 3 Monate später, als wir beim Zürcher Einwohnermeldeamt unsere Aufenthaltsbewilligung für die Schweiz beantragten. Ingo hatte zu diesem Zeitpunkt nach 20 Jahren seinen Arbeitgeber verlassen und wir beide wechselten in der Schweiz in die Selbständigkeit.

Das zweite Nein-Sagen kam auf dieser Reise. Ingo träumt seit Beginn unseres Abenteuers, also seit Dezember 2012 davon, diese Reise über die Mongolei und Russland zum Abschluss zu bringen. Doch mir ist das zu viel. Zu viele Kilometer. Zu viele Wochen. Zu viel Wodka. Zu viel Piroschki. Zu viel Ausland. Zu wenig Heimat. Einen weiteren Kontinent durchqueren. Ich kann das nicht. Besser gesagt: Ich will das nicht. Eigentlich finde ich Reisen toll. Grundsätzlich und objektiv meine ich. Im Reisentollfinden bin ich eigentlich ziemlich gut. Nur das momentane Reisentollfinden klappt  nicht mehr so richtig. Jedenfalls nicht mehr nach 14 Monaten Unterwegssein. Mir würde die Zeit durchaus reichen, die sich bis Mai aufsummiert. Das ist der Monat, den ich gedanklich als Rückkehrmonat definiert habe. Das wären dann 17 Monate. Das ist 17 Mal so lang wie andere durchschnittliche Paare reisen. Also sage ich Nein. Nein zur Mongolei. Nein zu Russland. Nein zu seiner Idee, dies mit mir zusammen zu tun. Und um meinen Worten Nachdruck zu verleihen, buche ich einen Kurs in Zürich, der mir das noch fehlende Element meines Portfolios in Chinesischer Medizin ergänzen soll: Chinesische Pharmakologie. Startdatum 21. Mai.

Aber ich bin nicht einfach nur eine Nein-Sagerin. Wenn ich Nein sage, dann bin ich fair. Ich biete Alternativen. So auch diesmal. Die vorstellbare Alternative könnte sein, dass wir uns im Sommer in St. Petersburg treffen. Dann, wenn Ingo die Mongolei und Russland durchquert hat. Dann, wenn sein Tacho an Motorrad weitere 7.000 Kilometer anzeigt. Dann, wenn er wahrscheinlich noch immer Lust hat, mit mir durch Finnland, die baltischen Staaten und Polen zurück nach Deutschland und in die Schweiz zu fahren. Und wahrscheinlich würde er spätestens in Kaliningrad damit beginnen, unsere nächste lange Reise zu planen.

Doch eines Morgens eröffnet er mir folgende Entscheidung: „Wir haben die Reise zusammen begonnen, also beenden wir sie auch zusammen! Im Mai kehren wir zurück nach Zürich.“ Mein Blut rauscht bei diesen Worten in meinen Ohren wie der Rheinfall von Schaffhausen. Und ganz kurz stelle ich mir die Frage, ob diese Entscheidung mehr mit Liebe oder Diplomatie zu tun hat. Doch eigentlich ist die Antwort egal. Denn mein zweites Nein-Sagen in diesen 17 Jahren löst genau wie beim ersten Mal eine regelrechte Kaskade an Ereignissen aus. Zwei Tage später erreicht Ingo ein Angebot eines ehemaligen Kunden. Er fragt nach seiner Verfügbarkeit für einen interessanten Auftrag. Ingo kann ihn nicht ablehnen, selbst wenn er wollte. Aber er will ihn auch gar nicht ablehnen.

Das Ende unserer Reise kommt abrupt. Es fühlt sich momentan nicht so an, als ginge uns langsam der Sprit aus, sondern vielmehr so, als würden wir mit Vollgas über eine Klippe rasen. Doch die Entscheidung ist getroffen. Anfang März geht es zurück in die Schweiz. Mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Dafür aber mit zahlreichen Gründen für die Rückkehr. Nicht nur, weil der Auftraggeber eine tolle Firma ist. Und auch nicht, weil der Firmensitz in einem Neubau ist, den Ingo zusammen mit Schweizer Architekten, Arbeitskollegen, Fachleuten und viel Herzblut auf die Beine gestellt hat. Ingos Gründe sind andere Gründe als meine Gründe. Doch auch das ist egal.  Vielleicht ist es vielmehr die Tatsache, dass das Unternehmen einen russischen Namen trägt.  Dass dieser Name ihn während der einjährigen Auftragszeit täglich daran erinnern wird, dass es noch einen weissen Fleck auf der Landkarte gibt. Ganz im Osten. Dort, wo Russland und die Mongolei nach einem langen Winter darauf warten, von einem Motorradfahrer entdeckt zu werden. Und bis dahin habe auch ich genügend Zeit, dem Reisentollfinden wieder eine neue Chance zu geben.

Besichtigungen sind momentan etwas schwieriger geworden

Tahune Air Walk, in den Bäumen, ca. 25 Meter über dem Boden

Tahune Air Walk

 

Wetter:

24 Grad, Sonne

 

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