31. August 2013 Mexiko, Oaxaca – Grashüpfer

Die verschiedenen Arten der Grashüpfer sind weit verbreitet. Man findet sie vom Polarkreis bis nach Afrika in den unterschiedlichen Klimazonen. Manchmal trifft man auch in den Städten Mexikos auf sie. Dann allerdings machen sie keine Zirpgeräusche mehr.

Wir sitzen am zentralen Plaza in Oaxaca, dem sogenannten Zócalo. Hier gibt es eine riesige Auswahl an einladenden Restaurants und Bars. Alle werben um Kundschaft und stellen ihre attraktivsten Kellner in die vorderste Reihe – für die Damenwelt. Und es tut seine Wirkung. Ein Jüngling am Eckrestaurant strahlt mich an, als gäbe es nur mich auf dieser  Welt. Und ich strahle zurück. Was soll ich sonst auch tun. Wahrscheinlich könnte er altersmässig mein Sohn sein, doch so schnell wie dieser Gedanke gekommen ist, verdränge ich ihn wieder. Die Stimmung ist gelassen, hier am Zócalo und die Sonne spiegelt sich in dem Funkeln einer Millionen Diamanten in den laubbedeckten Bäumen. Heute war ein schöner, heller Tag, klar und kalt und wir geniessen die Höhenlage von Oaxaca, wo wir von der erbarmungslosen Augustsonne Mexikos verschont bleiben.

Den Blick in die Speisekarte verbinde ich mit einem ebensolchen auf die Uhr. 17 Uhr, da kann man beruhigt den Abend mit einem Bier einläuten. Die Auswahl ist gross hier und lecker. Das Indio beispielsweise, dunkel und schaumig, samtig in der Kehle. Es schmeckt ähnlich dem Tui aus Neuseeland. Es ist lange her, doch weckt es ähnliche Erinnerungen von Freiheit und Sehnsucht,  in der unablässigen Weite am anderen Ende der Welt.

„Bueno, 2 Indio por favor!” Wieder faszinieren mich die schwarzen Augen des Kellners und wieder gibt er mir sein schönstes Lächeln. „ Und auch noch eine Portion Chapulines.“  Mit einem „Si, con mucho gusto“ verschwindet er in die Küche. Die Empfehlung, hier in Oaxaca Chapulines zu kosten, kommt von unserem Freund Julio aus Antigua. Er wollte zwar nicht verraten, was sich hinter dem Namen verbirgt, doch bisher waren seine Vorschläge immer wertvoll. „Bist Du sicher, dass wir in der ersten Reihe sitzen wollen?“ Ingos Blick wandert prüfend über den Plaza auf der Suche nach den fliegenden Händlern. Sie verkaufen allerlei Kunsthandwerk, Schmuck und Textilien. Wir bilden zwar mit unserer Poleposition eine ideale Angriffsmöglichkeit für Strassenverkäufer, doch ich bin bereit, die Herausforderung auf mich zu nehmen. Zu schön ist der Blick von hier aus und man kann wunderbar die flanierenden Menschen beobachten. Mit einem „Salud!“ stossen unsere gefüllten Gläser aneinander und schon rinnt kühles, weiches Indio sehnsüchtig unsere trockenen Kehlen herab.

Kurze Zeit später steht unser Kellner wieder an unserem Tisch, in seinem Gesicht ein blütenweisses Lächeln, als wäre er einer Colgate Werbung entsprungen. Fehlerfrei serviert er unsere Bestellung.

Eine Schale voll mit Chapulines, dazu pürierte Avocadocreme und Tortillas. Pefekt. Ich ziehe die Schüssel mit der rötlichen Chapulines-Füllung zu mir heran und stecke meine Nase hinein. Es riecht nach Zwiebeln und Chili und ich spüre den Blick des Kellners auf mir haften. Von allen Seiten betrachte ich die Füllung in der Schale. Was genau haben wir da eigentlich vor uns? Ich habe mir die Frage gerade zu Ende gestellt, als mir ein kleiner Schreckensschrei entweicht.

„Ui, das sind ja Insekten!“ Was am Anfang wie eine Zusammenmengung von verschiedenen Kräutern aussah, entpuppt sich nun als fingernagelgrosse Grashüpfer.

Man kann bei genauem Hinsehen Kopf, Flügel und die kleinen Beinchen erkennen. Hektisch drehe ich mich in Richtung Kellner, der grinsend hinter mir steht. „Das sind Insekten!“ meine ich anklagend zu ihm. „Nein, keine Insekten“, verbessert er mich freundlich, „diese Tierchen leben auf Pflanzen.“ Und deswegen zählen sie zur vegetarischen Küche, oder was? Ich bin entsetzt. So etwas kann man doch nicht essen. Wir sind doch nicht in Afrika! Ich stelle die vermeidliche Frage an unseren Kellner: „Esst Ihr die tatsächlich?“ „Ja klar, sie sind lecker und schön salzig. Passt gut zu dem Bier!“

Mit gekräuselter Nase schiebe ich die Schüssel von mir in Richtung Ingo. Doch auch er kann sich angebratene Grashüpfer nur schwer als Abendessen vorstellen. Mit ein paar erklärenden Worten drücke ich dem Kellner die Insektenschale in die Hand. „Die Viecher können wir wirklich nicht essen.“ Es ist keine Abscheu in meinen Worten sondern vielmehr lähmendes Mitgefühl der kulinarischen Geschmacksverirrung gegenüber der Mexikaner. Das Unverständnis des Kellners ist ihm ins Gesicht geschrieben und zwischen seinen Augenbrauen bildet sich eine steile Falte, während er mir zuhört. „Sie haben einen grossen Anteil an Proteinen!“ höre ich ihn noch sagen bevor er mit der Schale in den Händen davon marschiert. Ich blicke ihm hinterher und betrachte nachdenklich sein Profil. In seiner Aura liegt noch immer dieselbe Verzauberung wie vom Anfang, doch plötzlich habe ich den Eindruck, dass seine Schönheit vergänglich ist.

Kleine Kapelle auf dem Weg nach Oaxaca

Im Zentrum von Oaxaca scheint die Welt nur aus Luftballonen zu bestehen

 

Wetter:

22 Grad, Sonne

 

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