29. April 2013 Bolivien, La Paz – Yungas Strasse

Bis im Jahr 2006 eine gut ausgebaute Umgehungsstrasse gebaut wurde, galt die Yungas-Strasse als gefährlichste Strasse der Welt und hatte den Beinamen „Strasse des Todes“, im Spanischen "El camino de la muerte“.

Die Yungas-Strasse (El camino a los Yungas) führt von La Paz in das nordöstlich gelegene Coroico in den bolivianischen Yungas. Sie wurde in den 1930er Jahren während des Chacokrieges von paraguayischen Kriegsgefangenen erbaut. Sie ist eine der wenigen Strassen, die den Amazonas-Regenwald im Norden Boliviens mit dem Regierungssitz La Paz verbindet.

Heute schätzen vor allem Mountainbiker die Route zum Downhill-Biking. Sie sorgen zusammen mit den begleitenden Vans der Tourenanbieter für eine tägliche Nutzung. Da dies jedoch zwangsläufig nur in eine Fahrtrichtung, nämlich talwärts, geschieht, sind die Unfallzahlen drastisch gesunken. Die "Strasse des Todes“ hat glücklicherweise einen grossen Teil ihrer Gefährlichkeit verloren. Und deswegen wagen wir uns auch auf die 65 Kilometer lange Strecke. Da ich tief in meinem Inneren ein kleiner Angsthase bin, sitze ich heute auf Ingos Motorrad hintendrauf.

Von La Paz aus steigt die Strasse zunächst bis auf den La Cumbre Pass in 4650 Metern Höhe an. Nach 30 Kilometern zweigt die eigentliche "Strasse des Todes" ab. Sie windet sich in vielen Serpentinen über steile Bergänge und es vollzieht sich ein rascher Übergang vom kalten Altiplano zum feuchten, warmen Regenwald der Yungas. Die einspurige Schotterstrasse führt zumeist ohne Leitplanke an steilen Abhängen entlang. Glücklicherweise hängt noch ein schwerer Nebelvorhang über der Schlucht, so dass der tiefe Abgrund neben der schmalen Piste nur zu erahnen ist. Die Luft riecht nach vermodertem Laub, feuchten Pflanzen und sonnengewärmten Blättern. Meter für Meter lichtet sich der Nebel und gibt den Blick auf den geöffneten Schlund neben uns frei. Mir stockt der Atem, als mein Blick in das mehrere hundert Meter tiefe Dschungeldickicht hinabgleitet.

Zahlreiche Kreuze mahnen am Strassenrand. Ein Gedanke, den ich versuche, unter Kontrolle zu halten, schleicht sich an meinem Verdrängungsmechanismus vorbei und erscheint in voller Grösse vor meinem inneren Auge. Mein Herz rast vor Aufregung und meine schweissnassen Hände verkrampfen sich am Gepäckträger des Motorrades, als wir uns auf zwei Metern zwischen Abhang und Berg vorwärtsbewegen.

Ein Unglück vom 24. Juli 1983, bei dem ein Bus ins Schleudern geriet, in eine Schlucht stürzte und die 100 Insassen in den Tod riss, gilt als Boliviens schlimmster Verkehrsunfall. Einer Schätzung zufolge verunglückten bis 2007 pro Jahr 200 bis 300 Reisende auf der Strasse. Einen nicht unbedeutenden Anteil an ihrer Gefährlichkeit hatte auch der immense Schwerlastverkehr auf der Strasse. Dieser sorgte durch die Breite der Fahrzeuge für grosse Probleme. Da aber 2006 eine neue, asphaltierte und vor allem breitere und demzufolge auch sicherere Strasse eröffnet wurde, geht der Kraftverkehr mittlerweile gen null.

Eine lokale Verkehrsregel schreibt für die Yungas-Strasse Linksverkehr vor, damit die links sitzenden Lenker bei einer Fahrzeugbegegnung den Fahrbahnrand besser einsehen können. Ein weiterer Grund für den Linksverkehr ist, dass so die bergauf in Richtung La Paz fahrenden bei Ausweichmanövern auf der besser befestigten linken und damit dem Berg zugewandten Strassenseite fahren können. Trotzdem ist es für uns unvorstellbar, dass dies früher eine stark frequentierte Route war.

Die Strasse fällt nach und nach bis auf etwa 1200 Meter kurz vor Coroico ab. Als wir nach gut drei Stunden in den Ort Coroico einfahren, hören wir von den Einheimischen, dass die gut ausgebaute Umgehungsstrasse wegen Bauarbeiten gesperrt ist. Natürlich wären wir gerne wieder auf dem asphaltierten Weg nach La Paz zurück gefahren. Doch so sind wir wahrscheinlich eine der wenigen Touristen, die „El camino de la muerte“ zuerst hinunter und dann wieder hinauf fahren. Nicht nur die Ansicht der schmalen Bergstrasse ist nun völlig anders. Es ist vielmehr erstaunlich, mit welcher Hemmungslosigkeit die entgegenkommenden Fahrradfahrer die Strasse für sich beanspruchen. Ingo muss mehr als einmal scharf bremsen, um einige der „Rowdies“ nicht über den Haufen zu fahren. Geschützt durch Helm und Knieprotektoren fühlen sie sich offensichtlich unsterblich. Das Bedürfnis, sich selbst zu verlieren, verschmilzt mit der wilden Macht der Elemente. Doch in der Aura der Berge liegt eine stille Mahnung. Vereint mit der Verzauberung durch Felsen und Himmel fordert die grimmige Verwandtschaft mit dem Schicksal das Glück heraus. Und erst wenn der Verstand die Leidenschaft bremst, wird auch die Erkenntnis zu vollem Leben erwachen können.

 

 

Wetter:

14 Grad, sonnig

 

 

          

 

Weitere Erlebnisse