Sardinien

Text:   Claudia Suleck

Fotos: Ingo Cordes

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 Faszinierende Landschaft und provozierende Malereien

Als der im Morgenrot liegende Hafen von Olbia am Horizont auftaucht, ist die nervenauf- reibende Anfahrt bis zum Mittelmeer bereits vergessen.

Die Besatzung der Moby Freedom winkt uns freundlich über Rampen aus dem Bauch des Schiffes. Einer der Ausweiser grinst frech als er mit den Armen über seinem Kopf gestikuliert, ich müsse mich ja ziemlich nach oben strecken um den Lenker meiner F650 greifen zu können. Frech! Wo er selbst nur einen Kopf größer als eine Thermoskanne misst.....

Veröffentlicht:

bma 03/2005

Kradblatt 03/2005

 Motorradabenteuer 01/2004

 

Im Gänsemarsch trotten die beiden BMW´s die Küstenstraße entlang, den beginnenden morgendlichen Berufsverkehr ignorierend. Der östliche Teil der Insel steht am Anfang unseres Erkundungsplanes. In Höhe des Ortes Budoni setzen wir den Blinker rechts und orientieren uns landeinwärts. Die kleinen, malerischen Dörfchen des Monte Niddu Hinterlandes wirken wie ausgestorben, die Bausubstanz der Häuser verfallen. Selbst die Kühe liegen in großen Gruppen unter den spärlichen Bäumen und dösen vor sich hin.

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Obwohl der Kalender schon September schreibt, brennt die Sonne. Das kühle Lüftchen von der Küste lässt die Hitze allerdings erträglich werden. 12 km später treffen wir auf einen grandiosen tiefgrünen See, umgeben von kahlen Hügeln. Der Lago di Posada ist einer unter vielen künstlich gestauten Gewässern um auch in den trockenen Jahreszeiten die Wasserversorgung zu gewährleisten.

 

 

 

Mit den ersten Eindrücken stimmen wir am Abend auch unsere Mägen mit einem halben Kilo Spaghetti und doppelt soviel Rotwein auf Sardinien ein.

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Spitzbübisch lacht uns am darauffolgenden Morgen erneut die Sonne vom blauen Himmel entgegen als wir gemächlich unsere Motorräder satteln. Vor uns liegt das Monte-Albo-Gebirge. Ein Traum aus Bergen, Wäldern und Kurven. Gedankenverloren wiegen wir uns durch die Landschaft.

 

 

 

Zum Zeitvertreib zähle ich ab dem Dörfchen „Lula“  auf einer Strecke von 15 km die Kurven. 179 sind es und zwei entgegenkommende Fiats der Marke „uralt“.

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Ein tiefes Donnergrollen läßt uns schlagartig aufwachen. Dunkle Wolken nähern sich bedrohlich aus den Bergen, während die Sonne in einer dicken Nebelsuppe verschwindet. Die ersten Regentropfen platschen auf das Visir. Schneidender Wind treibt uns die Tränen in die Augen. Die Heizgriffe der BMW´s sind schnell auf Stufe zwei gestellt. Nun aber Gas! Unser Ziel heißt Cala Gonone.

 

 

 

Die einzige Zufahrt zu dem Ort führt durch einen etwa 100m langen Tunnel, um dann in Serpentinen zum Meer abzufallen. Wir suchen Zuflucht auf dem terassenförmig angelegten Campingplatz des Ortes und bauen im Eiltempo Zelt und Tarp auf.

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Etwa mit der gleichen Geschwindigkeit graben sich kleine reißende Sturzbäche in den weichen Boden des Campingplatzes. Einer davon findet seinen Weg direkt unter unserem Zelt hindurch. Die vielen Jahre des Gebrauchs zeigen sich in dessen Innenraum. In kleinen Pfützen liegen unsere Therm-a-Rest-Matten. Binnen Minuten läuft selbst vom gespannten Tarp ein Wasserfall zu Boden.

 

 

 

Nach kurzer Diskussion geben wir uns geschlagen. Wir mieten uns für vier Tage in eine Ferienwohnung ein. Den anfänglichen Plan, diese mit zwei holländischen Motorradfahrern zu teilen, werfen wir über den Haufen. Zum Glück, wie sich herausstellt. Auf 60 qm liegen Schlafsäcke, Unterhosen, Therm-a-Rest-Matten, Tarp, Zelt und Handtücher verstreut zum Trocknen aus. Jeder Zentimeter ist ausgenutzt.

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Mit Tagesausflügen überbrücken wir die Zeit, in der wir an unseren „festen“ Wohnsitz gebunden sind.

 

 

 

 

Die Wanderung zur Cala-di-Luna-Bucht ist eine willkommene Abwechslung nach dem tagelangen Bewegungsmangel auf dem Motorrad. Begleitet von Schmetterlingen und Gekkos folgen wir einem steinigen, vom Unwetter verschlammten Weg. Zwischendurch geben die Bäume den herrlichen Blick auf die Küste mit dem weißen Sandstrand frei. Türkisfarbenes Wasser lädt zum Baden ein. In der prallen Mittagssonne trainieren Felsenkletterer ihre Geschicklichkeit an den steinigen Wänden. Sogar ein Trialfahrer kommt uns entgegen. Geübt gleitet er über die Felsen, als würde er an einer unsichtbaren Leine geführt. Nach drei Stunden ist unser Ziel erreicht. Die wohlverdiente Siesta halten wir im schattigen Sand angrenzender Felshänge.

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Noch haben die Motorräder Schonfrist. Kultur ist angesagt. Die kurvenreiche Strecke zu dem Ort „Orgosolo“ reicht gerade so zum Warmfahren aus. Hier existiert die umfangreichste Murales-Serie Sardiniens. Es gibt kaum eine Wand im Zentrum, die nicht bemalt ist. Die Bilder besitzen eine enorme Ausdruckskraft. Der Protest gegen die damalige Unterdrückung und Ungerechtigkeit ist kunstvoll an den Hauswänden festgehalten. Eine alte Frau in langem, schwarzen Trachtenkleid winkt uns um die Ecke. Sie führt uns zum örtlichen Municipio (Rathaus). Die Front zeigt eine einzigartige Farbenorgie, ein lohnenswerter Abstecher.

 

 

Wenn man dem Reiseführer glaubt, so war Orgosolo früher das berühmteste, aber auch das berüchtigste Dorf der Insel. Die verwegenen Banditen die hier hausten, saugten demnach die Boshaftigkeit bereits mit der Muttermilch ein.

Der Stadtpark scheint der Männertreff zu sein. Eine Ewigkeit beobachten wir Boolspieler, die unaufhörlich graue Kugeln durch das Sandbett schieben. Drei Rentner auf der Parkbank machten mir im spielerischen Ernst klar, ich solle mein Interesse nicht nur den Boolspielern widmen. Sie selbst wären doch sicherlich ein Foto wert. Noch eben die Hüte zurechtgerückt, den Gehstock außer Sichtweite hinter den Rücken gestellt. Ein zahnloses Lächeln.
„Grazie!“

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Nach nur zwei Tagen ist sämtliches Gepäck getrocknet. Es ist an der Zeit, weiterzufahren. Wir entscheiden uns für einen Wechsel der Inselseiten von Ost nach West durch das Hochplateau des Gennargentu-Gebirges. Ein Enduroparadies mit schlechten Asphaltstraßen, knöcheltiefen Schlaglöchern und Schotterpisten öffnet sich für uns.

 

 

Vor uns sonnen sich die Gekkos auf dem warmen Asphalt. Aufgeschreckt von den lauten Motoren huschen sie in das schützende Gebüsch. Ich verrenke mir halb den Fuß um ein bißchen Fahrtwind in meinen Stiefelschaft zu leiten. Das Thermometer am Motorrad zeigt 30 Grad im Schatten. Kein Lüftchen, kein Wölkchen. Die Sonne sticht. An einer Bergquelle füllen wir unsere Trinkflaschen mit kühlem, klaren Wasser auf. Es herrscht Einsamkeit in dieser fantastischen Berglandschaft. Wir haben schon fast das Gefühl, die Straße illegal zu befahren. Lediglich ein paar halbwilde Schweine und Ziegen sind unsere Wegbegleiter.

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Die zahlreichen Kurven fordern ihren Energieanteil. Mit knurrenden Mägen erreichen wir den Ort Talana. Schlichte, pastellfarbene Häuser in gelb, hellblau und rosa strahlen uns entgegen. Unsere Mopeds schlängeln sich durch die schmalen, verwinkelten Gässchen, durch die kein Sonnenstrahl dringt. Kleine Geschäfte zieren den Straßenrand: Frutta e Verdura, Cafés, Pescherias. Das Leben findet auf der Straße statt. Frauen eilen mit Einkaufstüten und Kindern an der Hand durch die Gassen. Die älteren unter ihnen tragen lange, schwarze Trachtenkleider, meist auch ein Kopftuch. Männer sitzen in Gruppen am Straßenrand oder stehen mit Zigarette im Mundwinkel an der Kneipentür. Aus einem kleinen Straßencafé dringt der Duft von gegrilltem Hähnchen. Das ist genau das richtige für den Hunger zwischendurch. Wir finden noch einen freien Tisch, der von unseren Motorradklamotten sekundenschnell in Beschlag genommen wird.

 

 

Ein alter Mann am Nachbartisch mit braunen Cordhosen und Trauerrändern unter den Fingernägeln nickt uns freundlich zu. Interessiert mustert er unsere Motorräder. BMW kenne er von seiner Gastarbeiterzeit in München, erzählt er ungefragt. Seit seinem Rentenbeginn vor zwei Jahren lebt er in einer kleinen Hütte in den Bergen. Nur zum Einkaufen fährt er in das Tal. „Nehmt Euch in acht!“ Sein emporgestreckter Zeigefinger wedelt von links nach rechts. „Einigen hier kann man beim Straßenüberqueren die Hosen flicken. Aber kaum sitzen sie im Auto, drehen sie voll auf“. Er hat recht. Vor den Kurven wird gehupt statt gebremst. Ich kann mich beim Serpentinenfahren noch so beeilen. Bereits nach kurzer Zeit hängt mir wieder ein Luigi, Pablo oder Franco im Rücken. Aber die henkerische Fahrweise hat ihren Preis. Der Straßenrand ist gesäumt von zahlreichen Holzkreuzen mit Erinnerungsfotos von verunglückten Personen.

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Wir genießen das Essen und die Gesellschaft des alten Mannes. Trotzdem verabschieden wir uns bereits nach einiger Zeit von ihm. Vor uns liegen noch einige Stunden Fahrt bis zu unserem heutigen Etappenziel, dem Bergdörfchen Tonara.

An der Stelle, an der die Landkarte etliche Kilometer später den Lago di Flumendosa anzeigt, finden wir eine Steppenlandschaft. Lediglich eine kleine Pfütze des Sees ist übriggeblieben, an der abgemagerte Kühe und Kälber ihren Durst stillen. Weidewirtschaft spielt in Sardinien eine entscheidende Rolle. Von den 1,6 Millionen Sarden üben 30.000 den Beruf des Hirten aus und sorgen für insgesamt 3 Millionen Schafe, 300.000 Ziegen und 300.000 Schweine und Rinder.

 

 

Kurz vor Einbruch der Dunkelheit erreichen wir endlich den Campingplatz in Tonara. Fix und fertig steige ich vom Motorrad und liege schon gedanklich im Zelt. Der Besitzer an der Rezeption hebt die Schultern und schüttelt mit dem Kopf: „Chiuso“-geschlossen-. Bevor ich einen Schrei ausstoßen kann fährt er fort, „das Ostello -die Jugendherberge- ist geöffnet“. Ich weigere mich, auch noch einen Meter auf dem Motorrad zu fahren und Ingo ist überredet. Außerdem war ich noch nie in einer italienischen Jugendherberge. Wir bekommen ein Stockbett in einem Achtbettzimmer zugewiesen. Rot karierte Bettwäsche blinkt uns entgegen. Wir sind mit drei weiteren Männern die einzigen Bewohner der Herberge und stellen uns auf einen ruhigen Abend ein. Weit gefehlt. Hier ist der Pizzatreff. Hefeteiggebäck in Wagenradgröße wird herausgetragen. Sogar die Dorfpolizei holt sich hier ihr Abendessen. Auch wir testen Calzone & Co. und werden nicht enttäuscht.

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Nun ist es nicht mehr weit bis zu den weißen Dünenstränden der Westküste. Wir passieren den Ort Oristano und erreichen nach wenigen Kilometern die Sinishalbinsel, eine faszinierende trockene Steppenlandschaft. Neben kargen Weideflächen tummeln sich auf den großen Binnenseen dutzende von rosaroten Flamingos. Am südlichsten Zipfel der Halbinsel liegt Tharros, eine römisch-phönizisch Ausgrabungsstätte. Entdeckt wurde die unter Sand verborgene Stadt im Jahre 1851. Aber  auch bis heute ist noch lange nicht alles freigelegt. Beeindruckend sind die Wasserkanäle, die unter den Straßen die ganze Siedlung durchziehen. Eine gute Übersicht über das Gelände hat man vom alten Wachtturm. Von dort reicht der Blick bis zum vorgelagerten Capo San Marco.

 

 

 

Auf dem Weg nach Norden sollte die Stadt Bosa im Temo-Tal eigentlich nur Durchgangsort sein. Doch der Charme der Stadt springt auf uns über. Die einzigartige Lage des bunten Städtchens am Berghang, darunter das tiefe Bett des Temo-Flusses, das hat Stil. Die Via Lungo Temo dominiert mit einer wunderschönen Palmenallee und hohen Balkonen, zwischen denen frisch gewaschene Wäsche zum Trocknen gespannt ist. In einer engen, schattigen Gasse der Altstadt überzeugt uns eine ältere Dame im grau karierten Kleid von ihrer Fingerfertigkeit beim Herstellen von Körben und Schalen.

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Die Nordküste stellt sich als die rauhere Küste heraus. Hier scheint bereits die Jahreszeit gewechselt zu haben. Längst ist das Innenfutter wieder in die Jacken und Hosen gezogen und der Fleecepullover dient nicht mehr ausschließlich als Kopfkissen. Ein Abstecher zum Capo Testa muß allerdings noch sein. Hier verliert sich die Zeit. Auf einem der hohen Felsen sitzend lassen wir unserer Phantasie freien Lauf. Die Felsformationen wirken wie zusammengeschobene Knetmasse. Gesichter aus Stein, Comicfiguren, Körperteile. Selbst die Gischt sieht aus wie kochende Milch.

 

 

 

Es bläst ein orkanartiger Sturm. Bei Tempo 160 auf der Autobahn den Kopf aus dem Schiebedach zu halten, kann nicht schlimmer sein. Korsika ist in Sichtweite. Die kleinere der beiden Inseln wirkt so nah, als könne man hinüberschwimmen. Aber 12 km dürften bei der Brandung eine echte Herausforderung sein. Das muß ich sogar als ehemalige Wettkampfschwimmerin eingestehen.

 

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Wir haben seit Reisebeginn Temperaturunterschiede von 20 Grad. Einen Tag vor unserer Rückfahrt herrscht herbstliches Eintopfwetter. Abends vor dem Zelt wandern Kartoffeln, Zucchini und Karotten in den Topf über dem Benzinkocher. Unsere Alubecher scheppern aneinander. „Salute!“ Der letzte Rest aus der Rotweinflasche besiegelt das Ende unseres Urlaubs.

 

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