Neuseeland Nordinsel

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AOTEAROA – im Land der langen weißen Wolke

Sattgrüne Hügel, unergründliche Seen, rotglühende Himmel. Zusammen mit den einsamen, windigen Straßen ist Neuseeland ein Abenteuerspielplatz für Motorradfahrer. Hilfsbereitschaft, grenzenlose Gastfreundschaft, Freundlichkeit und Offenheit beeindrucken uns auf unserer fünfmonatigen Reise am anderen Ende der Welt. Während der 14.000 Kilometern durch eine Bilderbuchlandschaft wickelt Neuseeland uns um seinen grünen Finger, nimmt uns gefangen von seinem Charme.

„This is a Bee Am Double U, isn't it?" Die stahlblauen Augen des bärtigen Typen an der Tankstelle bohren sich förmlich in den Boxermotor. Mit braungebranntem Oberkörper lehnt er lässig an der Zapfsäule, während seine kräftige Hand anerkennend über die Sitzbank streicht. Noch vor wenigen Stunden kuschelten die beiden BMW’s in einer selbstgebauten Holzkiste nebeneinander, warteten darauf, die Quarantäneinspektion zu überstehen.

Fünf Monaten Neuseeland liegen vor uns - die lang ersehnte Auszeit. Die Nordinsel wird uns in der ersten Hälfte unserer Reise in Beschlag nehmen und wir sind gespannt, wie sie sich präsentiert. Der weißgraue Pferdeschwanz fällt dem Tankwart strähnig über die tätowierte Schulter. Er zwinkert mir zu, hebt locker die Hand. "Take it easy, guys..." Recht hat er!

Elegant schlängelt sich die Straße durch die hügelige Landschaft des Waipoua Kauri Forest an der Westküste. Lediglich eine Fläche von 100 qkm wurde im vergangenen Jahrhundert vor der Abrodung durch die Europäer geschützt und zum Nationalpark erklärt. Hier wachsen die Kauri-Bäume in den Himmel. Darunter auch der Tane Mahuta, der von den Maori verehrte "Herrscher des Waldes". Mit 51 Metern Höhe und 14 Metern Umfang weist er ein stattliches Alter von 1200 Jahren auf.

Über uns liegt ein sattes, frisch-grünes Pflanzendach. Dieses urwaldähnliche Waldgebiet bietet eine unwahrscheinliche Auswahl an Grün-Nuancen. In dieser fremdartigen Vegetation wachsen Palmen, Farn und Schlingpflanzen wüst durcheinander. Der kaum zu durchblickende Wald wirkt unbezwingbar, undurchlässig, ja fast ein wenig unheimlich.

Wir fahren Richtung Norden. Die Sonne als ständigen Begleiter vor uns. Hier am anderen Ende der Welt nimmt die Sonne ihren Weg über den Norden und steht mittags am höchsten. "No fatal crashes this month in". Das große gelbe Schild mit dem lächelnden Smilie am Straßenrand ist nicht zu übersehen. Eine nette Art der Neuseeländer zu zeigen, daß dieser Monat bislang ohne Unfälle abgelaufen ist.

Den nördlichsten Punkt Neuseelands bildet das Cape Reinga. Laut Maori der Ort, an dem die Seelen der Verstorbenen verschwinden. Entlang der Westküste der Halbinsel verläuft der Ninety Miles Beach, tatsächlich allerdings ist der Strand nur etwa 64 Meilen lang. Lediglich bei Ebbe ist es möglich, die Sandüberfahrt zu starten. Wir haben die „High Tide“ seit zwei Stunden hinter uns gelassen und wagen die Passage. Ein Fluss bei Te Pak ist der Länge nach zu durchqueren, um den Ninety-Miles-Traum zu erreichen. Die Spuren der Stollenreifen ziehen sich endlos durch den Sand. Muster, die sich durch das Spiel der Wellen gebildet haben, umspielen die langgezogenen Schatten unserer Motorräder. Über unzählige Kilometer begleitet uns ein Kormoran in monotonem Tempo. Aufgewirbelt durch den Wind tanzen weiße Schaumkronen wie Schneeflocken über den Sand.

Meter für Meter zieht sich das Wasser zurück, eröffnet einen immer breiter werdenden Strand für uns. Wir treffen auf einem von Treibsand eingegrabenen Rosthaufen, der zu besseren Zeiten einmal einen Pickup darstellte. Ein stummer Zeuge einer großen Dummheit. Das Meer hat seine eigenen Gesetze.

Das Cape umrundet, trotten unsere BMWs im Uhrzeigersinn entlang der Küste zu der Bay of Islands. 240 km nördlich von Auckland liegen unzählige verstreute Inseln in einer wunderschönen Küstenlandschaft. Dieser Ort hat historische Bedeutung. Hier wurde der Vertrag von Waitangi unterzeichnet, der die Gründung des modernen Neuseelands besiegelt. Die Vereinbarung stellt das Element zwischen den Maori-Ureinwohnern und den damals eingewanderten Europäern dar. Es gehört zu einem „Muß“, die Bay per Schiff zu erkunden. So auch wir. Bereits nach einer halben Stunde Fahrt auf dem Wasser werden in einigen Metern Entfernung ein Rudel Delphine gesichtet. Der Skipper läßt ein blaues, großmaschiges Netz zu Wasser. Scheppernd hakt er die Blechleiter am Rande des Bootes ein, die den Einstieg in das Netz erleichtern soll. Der Kapitän brüllt gutgelaunt durch die Lautsprecherboxen: "Come on, das Wasser ist recht warm, 23 oder 24 Grad. Und am besten lassen sich die Delphine vom Wasser aus beobachten!" Neongelbe Tauchermasken saugen sich an den Gesichtern der Kinder, Männer und Frauen fest, die der Aufforderung nachkommen und zu Dutzenden ins Netz springen, welches aufgrund der Last bedrohlich unter die Wasseroberfläche sinkt. Ich starre auf das Meer. 24 Grad soll das haben? Anfang Dezember? Niemals! Mein Blick verfolgt den des Kapitäns. Grinsend betrachtet er die zitternden und bibbernden Menschlein, die sich krampfhaft an das Netz klammern.

Blaue Lippen und Gänsehaut dominieren bei dem Anblick. Na, ein netter Joke. Augenzwinkernd verrät er uns, daß um diese Jahreszeit das Wasser höchstens 18 Grad mißt. Die Delphine haben längst das Weite gesucht, aber die Bay of Islands verspricht noch mehr Standorte, an denen die schlauen Meeressäuger zu finden sind.

Uns treibt die Abenteuerlust vorwärts und unsere Motorräder schlängeln sich entlang der schmalen Küstenstraße zu unserem nächsten Ziel, der Coromandel-Peninsula. Die klimatisch milde Halbinsel wird von wunderschönen Badestränden gesäumt und bietet im gebirgigen Hinterlandbusch zahlreiche Wandermöglichkeiten. Ächzend suchen sich die BMWs ihren Weg durch den groben Schotter. Eine kurvige, schmale "Gravelroad" von der früheren Goldgräberstadt Thames hinein in die Berge erfordert Konzentration. Wir ziehen eine endlose Staubfahne hinter uns her. Dann endlich! Nach der letzten Kurve das Hinweisschild: "Totara Flat Campground", einer aus der Gruppe der DOC-Campingplätze. „DOC“ steht für „Department of Conservation“, bei dem das Wort NATUR groß geschrieben wird. Auf einer großen grünen Wiese, umgeben von wildem Urwald werden wir die Nacht verbringen. Der kleine, einfache Bretterverschlag dient als Toilette. Schnell ist das Zelt aufgebaut. Neben uns rauscht ein schmaler Fluß durch das steinerne Bett. Der 4-Liter-Wassersack, aufgefüllt mit frischem Flußwasser, dient uns als Wasserhahn. Herrlich, ich wollte schon immer Cowboy sein! Mit diesem Gedanken verabschiedet sich für diesen Tag die Sonne am lilafarbenen Horizont.

Einige Sonnenaufgänge später stecken unsere beiden Köpfe über der Landkarte zusammen. Es ist nicht wegzudiskutieren. Resigniert gebe ich meinen Kampf gegen Ingos Argumente auf. Auf einer imaginären Linie zwischen der Coromandel-Halbinsel und Wellington liegen die Waitomo-Caves und es bietet sich bestens an, dort vorbei zu fahren. Hätte ich die Wahl, würde ich mit Vollgas Waitomo passieren. Das kleine Dorf mit großem Ruf liegt rund 16 km südlich von Otorohanga und ist Ausgangspunkt für Höhlenerkundigungen. Sickerwasser hat unter der Erde Felsen zu bizarren Formen und einem einzigartigem Höhlensystem verholfen. Die Höhlen können im Rahmen von Erkundigungstouren besichtigt werden. Angefangen von unterirdischen Wanderungen mit idyllischer Floßfahrt bis hin zu Unterwasser Rafting-Touren. Schon beim Lesen des Namens auf dem Prospekt bekomme ich eine Gänsehaut: “Black Water Rafting”. Meine Höhen und Tiefenangst gekoppelt mit Klaustrophobie wird voll auf ihre Kosten kommen.

Ein Typ wie ein Schrank begrüßt uns. Sein Name ist “Hob” und wir bekommen von ihm erste Instruktionen. Neoprenanzüge und –schuhe werden angepaßt, darüber weiße Gummischuhe mit griffiger Sohle. Damit wir nicht abrutschen bei dem reißenden Wasser. Noch der Helm mit Stirnlampe – wir sehen ganz schön bescheuert aus.

Mittlerweile bin ich mir ziemlich sicher, zu ertrinken. Hob führt uns zu einem Haufen alter Autoschläuchen. Wir sollen uns einen davon aussuchen, durch den unser Popo paßt, damit wir damit in der Höhle den Wasserfall runterspringen können. Mir ist übel… Im Entenmarsch stapfen wir mit acht weiteren Touristen in den dunklen Bauch der Höhle. Leichter Nebel liegt über dem Eingang oder ist es meine beginnende Ohnmacht?

Kalt, naß und unheimlich liegt die Dunkelheit vor uns und bereits nach der ersten Biegung verschwindet das Tageslicht hinter uns. Das Wasser, etwa kniehoch, wird lauter und reißender. Es ist wahnsinnig kalt, die Hände werden im Nu unbeweglich. Um in den Hauptteil der Höhle zu gelangen, gilt es, eine steinerne Brücke zu unterqueren. Mittlerweile stecken wir bis zum Hals im lebhaften Wasser. Wie ausgemessen paßt zwischen Brücke und Wasseroberfläche unser Kopf hindurch. Und plötzlich stehen wir vor einem ca. 3 Meter hohen Wasserfall. “Nehmt die Reifen an euer Hinterteil. Ihr springt rücklings von hier oben runter. Haltet den Reifen so lange in dieser Position, bis Ihr das Becken unten erreicht habt.“ Ich bin als zweite an der Reihe und meine gute Erziehung erlaubt es mir nicht, mit Hob noch länger übers Umkehren zu diskutieren. Nase zu und durch. Verflixt, ist das eine Strömung, aber ich lande mit meinem Hintern ziemlich weich auf dem Autogummi. Halb so schlimm, wie ich dachte. Beinahe verspüre ich Freude an dem ganzen. Auf den Reifen sitzend paddeln wir weiter, das heißt, eigentlich trägt uns ohne große Anstrengung die Strömung vorwärts. Plötzlich die laute, hallende Stimme von Hob: “Stirnlampen ausschalten und Augen nach oben!” Die Grotte ist in einem gespenstischen, mattgrünen Licht erleuchtet, das von unzähligen Glühwürmchen abgegeben wird. Die Höhlendecke erscheint wie der Nachthimmel, von dem man nicht sagen kann, ob er sich einen oder hundert Meter über unserem Kopf befindet. So gleiten wir weiter im Dunkeln von Biegung zu Biegung, tasten uns an den kalten Höhlensteinen entlang, bis endlich das vertraute Tageslicht wieder vor uns erscheint. Nach einer Stunde unter der Erde rudern wir dem Ausgang entgegen und ich glaube, jeder ist erleichtert, in die Sonne blinzeln zu können. Eine beeindruckende und grandiose Unterwasserfahrt, das muß ich im Nachhinein zugeben.

Wenig später hat sich auch meine Pulsfrequenz wieder normalisiert. Denn der Besuch im Kiwihaus im angrenzenden Otorohanga geht weitaus weniger aufregend von statten. Es bietet Besuchern die Möglichkeit, den scheuen, struppigen, grauen Vogel aus nächster Nähe zu sehen.

Das Wahrzeichen der Neuseeländer ist etwa so groß wie ein Huhn und hat einen überdurchschnittlich langen gelben Schnabel, an dessen Ende sich die Nasenlöcher befinden. Wie mit einem Blindenstock stochert der Kiwi durch den Wald und spürt Käfer, Spinnen, Würmer und Beeren auf. Früher mußte der flugunfähige Vogel keinerlei Gefahren fürchten, weshalb er auch das Fliegen verlernt hat. Heutzutage lauern nicht nur Hunde, Katzen und Wiesel auf ihn. Auch die aus Australien importierten Possums stellen eine große Gefahr für sein Leben dar. In den Wäldern werden aus diesem Grund Fallen mit vergifteten Ködern aufgestellt. In ganz Neuseeland gibt es mittlerweile nur noch 15.000 Exemplare des seltenen Vogels.

In einer 45 Grad Lage versuchen mein Motorrad und ich uns gegen die Westwinde durchzusetzen. Patagonien auf der anderen Seite der Welt. Schlimmer kann der berüchtigte Wind Argentiniens auch nicht sein. Eine dicke Regenwand begleitet unseren Weg zum Tongariro Nationalpark. Dieser umschließt eine der atemberaubendsten Landschaften der Nordinsel: Türkisefarbene Seen, dampfende Schwefelquellen und Regenwälder. Hier wartet die 17 Kilometer lange Tongariro-Crossing-Wanderung auf uns.

Am nächsten Morgen erfüllt um 6.30 Uhr erbarmungslos und markerschütternd das Fiepen des Weckers die eiskalte Morgenluft. Bei fünf Grad Celsius fällt uns das Aufstehen aus dem mit weißem Reif bedeckten Zelt nicht leicht. Aber wir schlagen uns tapfer gegen die Schlafsackwärme und hüllen uns ein in Fleece und Wanderschuhe. Noch versteckt sich der gelbe Ball hinter den Bergen, aber der klare Himmel verheißt einen sonnigen Tag. Sieben Stunden und 750 Höhenmeter liegen vor uns, als uns der Busfahrer an der Mangatepopo Road entläßt, dem Ausgangspunkt der Wanderung.

Eine grün-graue, alpine Vulkanlandschaft liegt vor uns. In einem kleinen Tal zu unserer Linken plätschert ein klares, eiskaltes Bächlein, das Mangatepopo Flüßchen. Dunkelgraue Sandbänke aus feinstem Vulkanstaub werden von dem Wasser umspült, das sich auf verschiedenen Stufen in großen Pfützen sammelt. Ein unangenehmer Geruch von faulen Eiern hängt in der Luft, verursacht durch den hohen Schwefelgehalt in dieser Vulkangegend. Die erstarrten schwarzen Lavaflüsse liegen dem im Schatten ruhenden Mount Tongariro zu Füßen. Zögerlich quält sich die Sonne über den Berg, als sich die ersten Höhenmeter vor uns auftun. Der etwa 500 Meter lange Aufstieg auf den Magatepopo Saddle führt über rissiges, schwarzes Lavagestein. Innerhalb weniger Minuten läuft der Schweiß in kleinen Rinnsalen von unseren Rücken. Ein Schritt vor, einer zurück scheint hier die Devise zu lauten. “Wie die Gemsen!” kommentiert eine keuchende Frau hinter mir. “Ja, nur nicht ganz so leichtfüßig!” meine nicht weniger luftarme Antwort. Nach 45 Minuten Quälerei werden wir mit einem wunderschönen Panoramablick vom Kraterrand über das gesamte Bergmassiv belohnt. Unglaublich, aus welchen dunklen Felsspalten sich Leben herauszwängt. Winzig kleine Blümchen mit weißen Blütenspitzen wachsen neben leuchtend goldgelben Grasbüscheln auf dem versteinerten Vulkanfluß.

Dünne Schleierwolken umziehen den Mount Ngauruhoe. Wir durchqueren die flache Pfanne des South Kraters, eine riesige Sandwüste des mittlerweile stillen Kraterbodens. Anschließend orientieren wir uns auf dem ockerfarbenen Geröll des Bergrückens dem höchsten Punkt entgegen.

Drohend liegt der geöffnete Schlund vor uns. Die hervorquellenden Schwefeldämpfe nehmen uns die Luft zum Atmen. Wie glühender Stahl dominieren die purpurroten und schwarzen Kesselwände im Fels.

 

Eine wahrlich aufregende Farbenszenerie zusammen mit dem hellblau und smaragdgrün schimmernden Wasser des Emeral Lakes. Der Abstieg erweist sich als Rutschpartie. Lose, herabpurzelnde Steine, dazwischen die Staubwolken der Vulkanasche. Schritt für Schritt tasten wir uns vorwärts.

Andere sind mutiger, rennen, oder besser rutschen in langen, kräftigen Schritten den Geröllhang hinunter. Wir passieren den Blue Lake, in dessen Anschluß der weniger spektakuläre Teil der Wanderung beginnt. Entlang bewachsener Hänge, durch Gestrüpp und gelber Grasbüschel werden wir in Serpentinen ins Tal geführt. Die letzte Stunde kommt uns nicht endend vor, als wir einen schattigen Busch durchqueren, um den Parkplatz der Ketetahi Road zu erreichen. Ein verständnisvoll lächelnder Fahrer erwartet uns, als wir ausgelaugt und verschwitzt durch die Bustür stolpern.

Dicke, sattgelbe Ginsterbüsche begleiten tags darauf unsere Weiterreise über die immergrünen Hügel. Abrupt ändert sich das Landschaftsbild, als wir die sogenannte “Desertroad” durchfahren. Es handelt sich hier zwar um keine richtige Wüste, denn dafür fällt hier viel zu viel Regen. Aber wüstenähnlicher ist es sonst nirgendwo in Neuseeland. Wir befinden uns auf dem Weg nach Waitarere, das ca. 100 km nördlich von Wellington liegt.

Ein Highlight unserer Reise bilden sicherlich Kathy und Murray. Die beiden Mittvierziger lernen wir über die weltweite Internet-Community „Horizons Unlimited“ kennen. Für den Besuch aus Deutschland haben Kathy und Murray ihre Motorradfreunde zu einer Barbecueparty eingeladen: John, der Africa-Twin-Fahrer mit seiner Frau Gill und auch noch Steve, ebenfalls ein Africa-Twin-Fahrer, aber einer der ganz verrückten Sorte. Mit einer schönen Flasche Wein und leckerem Gegrillten lauschen wir spannenden Reisegeschichten, endlosen Träumen und verrückten Offroad-Erlebnissen. Steve, John und Murray fahren seit Kindesalter Offroadbikes. Das Übungsgelände hat Murray direkt vor der Haustür im eigenen Wald.

Der nächste Tag ist komplett für eine ausführliche Motorradtour reserviert. Dichtes Gestrüpp erschwert die Fahrt durch den feuchten, moosigen Wald. Murray zeigt uns wahrlich nicht die einfachste Möglichkeit, das Meer zu erreichen.

Einer der Drehorte für den dritten Teil von “Herr der Ringe” liegt auf unserem Weg, bevor wir die Motorräder über angeschwemmtes Treibholz manövrieren müssen. Zur Belohnung genießen wir eine menschenleere Strandfahrt. Steve und John stoßen dazu und wir bekommen das grenzenlose Hinterland Neuseelands zu Gesicht. Endlos steile Schotterpisten schlängeln sich in engen Kurven auf die in Nebel gehüllten Berge. Lediglich eine Fahrzeugbreite liegt zwischen dem steilen Abhang und den zerklüfteten Bergen. Auf dem nebligen Hochplateau läßt sich die Hand vor Augen nicht erkennen. Undurchdringbarer Matsch wartet auf uns. Ich bemühe mich, nicht zu fallen, muß doch meine Endurohose regelmäßig neben mir im Zelt schlafen. Das ist Enduro-Training live. In Deutschland bezahlen wir viel Geld dafür, ein Wochenende im Dreck zu verbringen. Hier in Neuseeland gibt es das gratis. Den krönenden Abschluß des Tages bildet Steves Angebot, ihm beim Melken seiner 163 Kühe zu helfen. Mit einer kleinen, wendigen Crossmaschine treibt er gekonnt die “Damen” von der Weide, um sie im gepflasterten Unterstand an die Melkmaschinen anzuzapfen. 19 Kühe auf jeder Seite, in der Mitte die “Zapfanlage”. Die sensiblen Tiere wirken nervös, fühlen sich gestört von uns Fremdlingen. Die Melkvorrichtung ist ein Vierergespann, bei dem ein Hebel am Schlauch umgelegt wird, um einen Saugzustand zu erzeugen.

Der Kuheuter wird damit förmlich eingesogen. Für die Kühe anscheinend keinesfalls Gewohnheit, da sie aufgeregt umher tippeln. Vielleicht sind sie ja kitzelig. Fleisch, Wolle und Milchprodukte sind die klassischen Exportgüter Neuseelands. Schafzucht und Milchwirtschaft bilden dabei die Schwerpunkte.

Weihnachten naht und auch der neuseeländische Weihnachtsbaum beginnt langsam zu blühen. Der Pahutukawa wird auch New Zealands Christmas Tree genannt und wurde zum Nationalbaum ernannt. Mit einer wunderschönen rot blühenden Blütenpracht scheint er sich im Dezember dafür zu bedanken.

Neuseeland wird in der Maori-Sprache „Aotearoa“ genannt, was übersetzt „Land der langen weißen Wolke“ bedeutet. Hier scheint es an nichts zu fehlen. Lediglich Marzipankartoffeln haben wir noch nicht gefunden. Wir legen unsere Hoffnungen auf Wellington, die Hauptstadt Neuseelands. Randvoll gefüllt mit Flair und Charakter bildet sie eine willkommene Abwechslung zu den letzten Wochen Natur und Einsamkeit. Die Cuba Street hat es uns angetan. Das flippige Einkaufsviertel mit verrückten Cafès und vielseitigen Menschen läßt uns einfach nicht los. Aber nicht weniger interessant ist die Public Library, ein riesiges Gebäude aus Stahl, Holz und Stein. Neuseelands Architekt Ian Athfield hat sich hier ausgelassen und seinem Ideenreichtum keine Grenzen gesetzt. Alt und neu stehen sich gegenüber, regelmäßig und unregelmäßig. Ein gelungenes Projekt, aber sicherlich nicht jedermanns Geschmack. Eine phantastische Aussicht über Wellington und die davor liegende Bucht erhält man bei einer Fahrt mit dem Cable Car westlich des Zentrums. Diese Stelle der Stadt läßt keinen Zweifel offen, daß Wellington zu Recht die Hauptstadt Neuseelands ist.

Tatsächlich aber hätte das wesentlich größere und wirtschaftlich besser gestellte Auckland diesen Anspruch gerne für sich behauptet. Diesbezüglich liegen die beiden Städte im ständigen Wettstreit, dem Wellington bis heute allerdings tapfer standhält.

Erfolglos im ausfindig machen von Marzipankartoffeln verlassen wir die faszinierende Stadt, um uns der östlichsten Spitze Neuseelands zu widmen, dem East Cape. Von Gisborne aus folgen wir der 343 Kilometer langen East Cape Road. Eine „Never Ending Story“ beginnt durch einen traumhaften und einsamen Landesteil. In den verschlafenen Küstenörtchen scheint der Tourismus noch keinen Einzug gefunden zu haben. Der Anteil der Maoribevölkerung liegt mit fast 60% extrem hoch am rauhen, ursprünglichen Cape. Fast ein Drittel des Landes ist im Besitz von Maori-Familien. Bei Te Araroa zweigen wir ab auf eine teils unbefestigte Küstenstraße. Die letzten 21 Kilometer führen uns zu dem tatsächlich östlichsten Punkt dem East Cape Lighthouse. 700 Stufen hinauf zum Leuchtturm gilt es zu bezwingen, um mit einem wunderschönen Ausblick landeinwärts sowie auf die Küste belohnt zu werden. Ozean und Himmel scheinen hier einfach aufzuhören.

Zurückgeholt in die Realität werden wir erst wieder in Rotorura. Ein widerlicher Gestank von faulen Eiern hängt über der Stadt. Öffnungen in der Erdkruste lassen Schwefelwasserstoff aufsteigen, der für diesen unangenehmen Geruch sorgt. Maoris haben für das Stadtzentrum wohl den passendsten Namen gefunden: „Whangapipiro“ was soviel heißt wie „fürchterlich stinkender Platz“. Trotzdem wimmelt es hier von Touristen. Eines der beliebtesten Reiseziele auf Neuseeland hat auch allerlei zu bieten.

Das zugänglichste Geothermalgebiet der Welt zeigt Geysire, die beachtliche Fontänen in die Höhe schießen. Heiß und temperamentvoll brodeln die Thermalquellen von Whakarewarewa. Die dampfenden Schwaden hängen über blubbernden, kochenden Schlammlöchern, während farbenfrohe  Mineralablagerungen an den Rändern der Wasserbecken dem Auge Abwechslung bieten.

Nirgendwo sonst in Neuseeland wohnen mehr Maori zusammen als in Rotorua. Hier ist die Kultur lebendig geblieben. Täglich bieten kulturelle Aufführung eine Einführung in die Maori-Welt der Kriegstänze Haka, Gesänge und Tradition.

 

Ein kurzes, sanftes Aneinanderreiben der Nasen spiegelt die Maori Begrüßung Hongi wider. Fast alle Namen der Nationalparks, Küsten und Orte sind in der alten Maori-Sprache angegeben. Für uns denkbar ungewöhnlich, so scheinen sich die Vokale ohne Unterbrechung aneinander zu reihen.

Vorbei am Lake Rotorura schlängeln wir uns durch eine grüne hügelige Landschaft in der Bay of Plenty.

Der Einladung einer Farmersfamilie folgend machen wir uns auf die Suche nach der richtigen Straße, oder besser gesagt nach DER Straße. Wir scheinen uns am Ende der Welt zu bewegen. Von weitem schon sehen wir das weiße Holzhaus, das einsam auf der Spitze einer dieser grünen Erhebungen steht, umgeben von Wäldern und Wiesen. So weit abseits wir uns auch in der Pampa befinden, hier findet das wirkliche Leben statt! Die fünfjährigen Zwillinge Scott und Kate kommen uns kreischend entgegen gerannt, wollen mit auf den Motorrädern sitzen. Von Schüchternheit keine Spur. "We are twins!" werden wir sofort aufgeklärt. Alles klar! Die Zahnlücken der beiden unterscheiden sich lediglich in der Breite. Scott führt mit einer Zahnesbreite und macht dies mit seiner wackelnden Zungenspitze durch die Lücke hindurch kenntlich. Die Eltern der beiden, Murray und Jannett, sind Farmer und versuchen uns deutlich zu machen, wie deren Arbeitstag aussieht. So richtig kann ich mir das alles nicht vorstellen. Gut, da sind 300 Rehe auf der Farm, deren spätere Steaks für den europäischen Markt vorgesehen sind. Aber ganz ehrlich, sie stehen doch den ganzen Tag auf einer schönen grünen Wiese herum, fressen alleine ihr Gras, ohne jemanden zur Last zu fallen. Und die Kiwiplantagen, dafür gibt es doch die ganzen Touristen mit Arbeitsvisum, die sich mit "Fruitpicking" ihren Langzeiturlaub ermöglichen. Murray schmunzelt, als er meine Städter-Ansicht hört. Er lädt uns ein, den morgigen Arbeitstag mit auf der Farm zu verbringen.

Tolle Idee! Glücklicherweise bekommen wir morgens "Travellerverschonung". Unsere Wecker klingeln nicht um fünf Uhr, wir dürfen ausschlafen und in Ruhe frühstücken, bevor es richtig losgeht. Zuerst einmal will das Rehkitz "Beedee" gefüttert werden. Die Milchflasche mit der angerührten Milch steht schon bereit und fast ein bißchen beleidigt nuckelt Beedee schmatzend an dem verspäteten Frühstück.

Danach heißt es für uns 'rein in den Blaumann und 'rauf auf den Pickup. Die beiden Farmershunde springen gekonnt auf den hinteren Teil der Ladefläche und schon geht es los über Schleichwege und Schottertracks zu den Rehgehegen.

Für heute ist eine Bestäubungsaktion vorgesehen. Ein Mittel wird direkt auf das Fell gespritzt, um die Tiere vor schädlichen Würmern zu schützen, die Lunge und Magen angreifen. "Na gut, mal eben mit der Spritze rumlaufen. Kein Problem!" denke ich mir. Nur ganz so einfach ist das nicht. Alle 300 Rehe müssen von der Weide zusammen getrieben werden, um in einer großen Holzscheune gesammelt und behandelt zu werden. Die Hunde werden losgelassen und Murray schwingt sich auf seine Crossmaschine. Die scheuen Tiere denken gar nicht daran, sich in Richtung hölzerne Hütte leiten zu lassen. Nahezu zusammenklebend rennen sie von einer Ecke der Weide zur anderen, bergauf und bergab, die Hunde kläffend hinterher. Murray kommt zurück, ziemlich außer Atem. "Die Arbeit wird durch den Wind erschwert. Er kommt aus der falschen Richtung und ist zu stark. Das macht die Tiere noch sensibler und unruhiger" erklärt er. Einen letzten Versuch will er noch starten. Diesmal erfolgreicher läßt sich die Herde in die richtige Richtung lenken, rennt mit ein bißchen Widerwillen auf die Scheune zu. Eine Hälfte ist bereits durch die Tür ins Innere gelangt, als sich die andere Hälfte zum Umkehren entschließt. Murray steht mit seiner Crossmaschine direkt hinter ihnen. 600 aufgebrachte Hufe rennen auf ihn zu, stürzen sein Motorrad zu Boden. Murray wirft sich unmittelbar dahinter auf den Boden in den Schlamm. Seine Arme schützend über seinen Kopf gerichtet springt ein Tier nach dem anderen über das Mensch-Motorrad-Hindernis. Das kann auch anders ausgehen! Die Jagd erfolgt aufs Neue und irgendwann ist es tatsächlich geschafft.

Alle Rehe sind im hölzernen Unterstand versammelt. Nun beginnt die eigentliche Arbeit. Die Scheune besteht aus einem riesigen Rondell, das durch fünf Tore in einzelne Parzellen unterteilt ist. In die Mitte des Rondells führen Türen, die sämtliche der abgetrennten Bereiche mit dem Inneren verbindet. Die Rehe verteilen sich auf die gesamte Länge des Rondells. Türen verschließen sich. Nun können die Kleingruppen in Ruhe behandelt werden. Eine kurze und schmerzlose Portion aus der Pumppistole wird direkt auf das Fell gespritzt. Es dauert keine zwei Minuten bis alles überstanden und die nächste Gruppe an der Reihe ist. So lange, bis die gesamte Herde "bearbeitet" ist. Nach zwei Stunden sitzen wir erschöpft und staubig im Pickup auf dem Weg zur Kiwifarm.

Riesige grüne Felder mit Kiwipflanzen zieren die Landschaft. Murrays Bruder Chris und sein Vater John warten bereits auf uns um als Spezialisten auf diesem Gebiet die Aufklärungsarbeit zu leisten. Dutzende von Hektar sind bepflanzt mit grünen und goldenen Kiwis, um in wenigen Wochen abgeerntet zu werden. "Jeder fünfte Baum in jeder Reihe ist männlich." erklärt John geduldig. "Und durch den Wind und die Bienen beginnt im Frühjahr die Bestäubung, um all diese guten Früchte hier zu erhalten." Er pflückt eine eigroße Golden Kiwi vom Baum, und hält sie mir unter die Nase. Noch sind sie sauer und die Kerne im Inneren hell. Aber dank der starken neuseeländischen Sonne reifen sie rasch zu süßen, saftigen Früchten heran. Solch ein riesiges Feld anzulegen mit all den Bolzen und Drähten, um die Zweige und Ableger zu tragen, kostet etwa 50.000 Dollar und beinhaltet Arbeit für zwei Monate.

Danach dauert es ca. 4 Jahre, bis eine Pflanze Früchte trägt. Bis dies soweit ist, müssen die Böden gedüngt, treibende Zweige zurecht geschnitten und Stämme befestigt werden. Heutzutage werden mehr als 100.000 Tonnen der Vitamin-C-reichen Früchten in die Welt exportiert.

Nach leckerer Hackfleischlasagne mit Kartoffelecken und Salat lehne ich mich gerade gemütlich und schläfrig auf meinen Stuhl zurück, als Murray uns klarmacht, daß der Arbeitstag noch nicht zu Ende sei. Zahlreiche Possums treiben in der Gegend ihr Unwesen, zerstören Futterfelder und Bäume, müssen gejagt und geschossen werden. Nein, wehre ich ab, ich bleibe hier, Tiere habe ich noch nie geschossen und kann das auch nicht. Erst als Murray verspricht, das Abschießen auf einen der nächsten Abende zu verschieben, lasse ich mich überreden, zum Possum-SUCHEN mitzukommen. Hell leuchten die Sterne vom schwarzen Nachthimmel auf uns herab, als wir uns erneut in den Pickup begeben, um durch schlafende Kühe, aufgeschreckte Rehe und huckelige Wiesen zu fahren. Nach wenigen Kilometern sitzt bereits das erste Possum friedlich kauend im Scheinwerferlicht des Pickup. Die Tiere, die einst von Australien importiert wurden, richten in der Land- und Forstwirtschaft immense Schäden an, zerstören Bäume, töten Vögel und fressen Pflanzen und Blätter. Ohne einen einzigen natürlichen Feind sind sie in Neuseeland zusammen mit den Kaninchen zur regelrechten Plage geworden. Um 22 Uhr liegen wir fix und fertig im Bett und verfallen in Kürze in den wohlverdienten Tiefschlaf. Nach dem heutigen Tag weiß ich es zu schätzen, was ein neuseeländischer Farmer täglich zu leisten hat.

Neuseeland, die Insel der Kontraste. Landschaften, die gegensätzlicher nicht sein können. Südseestrände und tropische Regenwälder, dschungelartige Vegetation, Hochgebirge und sanft hügeliges Weideland.

Uns gefällt die Nordinsel. Ein Paradies, in dem jeder genug Platz hat, sein Glück zu finden. Nirgendwo ist der Himmel so weit und das Grün so satt. Neuseeland strahlt einen Zauber aus, dem sich niemand entziehen kann. Wir haben bereits Halbzeit auf unserer Reise und fürs erste wollen wir das Kapitel Nordinsel schließen.

Südinsel